Kloster Pernegg
Klöster sind seit jeher Orte der Spiritualität, des Rückzugs und der inneren Einkehr. Das Kloster Pernegg hat diese Themen aufgenommen und mit „Stille“ und „Sinn“ erweitert.
„Der Mensch strebt vor allen Dingen nach einem Sinn im Leben.“ Dieser Satz des Wiener Neurologen Viktor E. Frankl ist heute aktueller denn je. Sinn-Erfüllung motiviert, macht belastbar und weniger krankheitsanfällig. Darüber hinaus gibt uns ein Sinn-Motiv auch die Kraft zu verzichten und uns neu auszurichten. So wie uns unser ganz persönliches „Wozu“ durch die Zeit des Fastens begleitet und uns stärkt, kann uns die Ausrichtung und Orientierung am Sinn auch durch die Höhen und Tiefen unseres Lebens begleiten.
Was macht uns Menschen zu Menschen?
Als Antwort auf diese Frage hat Viktor E. Frankl ein einzigartiges, dreidimensionales Menschenbild beschrieben: Die ersten beiden Dimensionen, Körper und Psyche, bilden die Basis auf der wir stehen und sind im Wesentlichen schicksalhaft gegeben.
Unser eigentliches Selbst, unsere Einzigartigkeit und auch unsere Menschenwürde, ruht laut Frankl in einer eigenen Dimension. So wie eine dritte, räumliche Dimension neben der Länge und der Breite in die Höhe ragt, so reicht auch unsere Persönlichkeit in der geistigen Dimension über unsere körperlichen und psychischen Begrenzungen hinaus. Dort oben liegen unsere spezifisch menschlichen Fähigkeiten, wie Selbstreflexion, humane Liebe und die Möglichkeit, zu äußeren und inneren Bedingungen Stellung zu nehmen. So können wir in jeder Situation entscheiden, wie sehr wir uns von Körper und Psyche beeinflussen lassen. In der geistigen Dimension können wir über uns selbst hinauswachsen und gleichzeitig ganz wir selbst sein. Sie ist die Quelle des menschlichsten aller Bedürfnisse: Der Sehnsucht und Ausrichtung auf einen persönlichen Sinn.
Die mittelalterliche Zisterne des Kloster Pernegg als SINN-Bild für Frankls Menschenbild
Die Zisterne des ehemaligen Nonnenklosters wurde inhaltlich durch Frankls Menschenbild erweitert. Der Brunnen zeigt durch seine spiegelnde Wasseroberfläche den Übergang vom Bewussten ins Unbewusste. An der Wasseroberfläche sehen wir ein verzerrtes Bild der Realität. Wir erahnen darunter die unbekannte Tiefe unserer Psyche.
Die körperliche Dimension wird durch den Brunnenrand und die den Brunnen umgebende Wiese symbolisiert. Gegensatzpaare beschreiben verschiedene Möglichkeiten der menschlichen Expression – im körperlichen sowie im psychischen Bereich. Manchmal fühlen wir uns schwach, manchmal stark. Einmal sind wir ängstlich, dann wieder mutig… Ein Leben ohne Polarität ist nicht denkbar. Tag – Nacht, Mann – Frau, Liebe – Hass … Polarität bezeichnet die Beziehung zwischen den Polen, und das ohne Wertung. Vereint man die Pole, spricht man von Einheit, Zentrum, Liebe, Ausgleich. Wer wünscht sich nicht mit sich im Ausgleich, im Reinen zu sein?
Die dritte Dimension erstreckt sich in Richtung Himmel. Hier spannt sich die geistige Ebene auf, dargestellt durch emporragende, einander kreuzende Aluminium-Stelen. Außen steht: „Mensch Sein ist FREI SEIN.“ Auf die Innenseite ist graviert: „Ich bin NICHT FREI von meinen Bedingungen, sondern FREI dazu STELLUNG ZU NEHMEN!“
Viktor E. Frankl fordert uns auf, unsere Freiheit zu erkennen, zu entscheiden und danach zu leben. Mit dem Bewusstsein, dass auch die Verantwortung für diese Entscheidung bei uns liegt. Die Bedingungen sind vielfach nicht veränderbar, unser Umgang mit diesen Bedingungen ist jedoch frei gestaltbar. Die Gedankenwelt Frankls erhellt die Tiefen der Psyche und beleuchtet die Breite der körperlichen Dimension. Ein geistiger Sonnenstrahl, der Licht in den dunklen Brunnen wirft.
„Im Dienst an einer Sache oder in der Liebe zu einer Person erfüllt der Mensch sich selbst. Je mehr er aufgeht in seiner Aufgabe, je mehr er hingegeben ist an seinen Partner, umso mehr ist er Mensch, umso mehr wird er selbst.“
Viktor E. Frankl
Im Kreuzgang des ehemaligen Nonnen-Klosters beschäftigen wir uns mit 3 existenziellen Fragen und Viktor E. Frankls Antworten darauf
„Warum ich?“ Nicht alles im Leben läuft immer rund. Schwierige und dunkle Phasen bleiben nicht erspart. Diese Frage kommt aus dem tiefen Bedürfnis, die Welt und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Oft ist es auch sinnvoll, nach einer Ursache zu forschen. Es lohnt sich die Selbstreflexion und die Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubenssätzen. Bei schicksalhaften Ereignissen hilft die Frage jedoch nicht weiter. Eine Lösungsalternative ist eine zukunftsgerichtete Frage: „Wozu fordert mich das heraus?“ Durch Beantwortung der Frage verlässt man die Opferhaltung und wird Gestalter.
„Was brauche ich?“ Selbstverwirklichung, Sicherheit und Anerkennung sind zentrale Bedürfnisse unserer heutigen Gesellschaft. Auch wenn tagtäglich der Konsum und die sozialen Bedürfnisse befriedigt werden, bleibt eine gewisse Leere zurück. Es ist nie wirklich genug. Die Welt schenkt uns jedoch mehr Möglichkeiten zur Erfüllung unserer Wünsche. Jeder kann in seinem unmittelbaren Umfeld Sinnvolles bewirken.
Der Sinn des Lebens zeigt sich durch viele kleine tägliche Sinn-Aufrufe mit Beantwortung der Frage: „Wo werde ich gebraucht?“ Dies führt zu einer Lebensweise, die dadurch auch mit Sinn erfüllt wird. Letztendlich kann auch die innere Einstellung zu den äußeren, unveränderlichen Rahmenbedingungen Sinn erfüllen. Glück und Zufriedenheit kann nicht direkt angestrebt werden. Sie ergeben sich als Folge eines sinnorientierten Lebens.
„Wer bin ich?“ Der Mensch ist das Produkt all seiner bisherigen Erlebnisse und Begegnungen. Alles, was bisher verwirklicht wurde, ist Wirklichkeit geworden. Und trotzdem die Zweifel? Worauf richtet sich der Blick? Ist es das abgeerntete Stoppelfeld oder die reiche Ernte in der Scheune des bisherigen Lebens? Diese Ernte ist unzerstörbar geborgen in der Wirklichkeit. Sie ist der Abdruck, den das Leben in der Welt hinterlässt. So ungewiss auch Zukunft sein mag, so sicher ist die Vergangenheit. Die Wirklichkeit der persönlichen Geschichte bleibt bis in alle Ewigkeit bestehen. Die Vergänglichkeit des Lebens soll nicht lähmen, sondern ruft zur sinnvollen Gestaltung auf.
Die Frage lautet: „Welcher Mensch möchte ich einmal gewesen sein?“ Worauf kann ich zurückblicken, wenn in Zukunft auf die Vergangenheit geblickt wird? Jeder Tag bietet aufs Neue die Chance, das Leben mit Sinn zu füllen und wertvoll zu gestalten.
Die Themenwelt wurde in Kooperation mit dem Viktor E. Frankl Zentrum, in Person von Dr. Harald Pichler und Clemens Dus, erarbeitet. Besuchen Sie doch das Viktor E. Frankl Museum in Wien!