Wesentliches
Fasten hat mich gerettet. Das klingt dramatisch. Aber die Umstände, unter denen ich das erste Mal begleitet gefastet habe, waren es auch. Vor mehr als zehn Jahren war das. Zu der Zeit habe ich mir meinen Job stressiger gemacht als er sein muss. In meiner damaligen Beziehung habe ich mehr toleriert als gesund für mich war. Das Ergebnis aus beruflicher Überlastung und emotionaler Traurigkeit: Ich habe mich praktisch nur mehr von Nudeln und Schokolade ernährt. Schnelles Essen, verlässlicher „Glücklichmacher“. Nach einem halben Jahr konnte ich nicht mehr. Ich fühlte mich elend, sah auch so aus – und spürte: Hier schaff ich es allein nicht raus.
Zum Glück hatte und habe ich beruflich immer wieder mit naturwissenschaftlicher Alterforschung zu tun. Autophagie und Zellverjüngung ausgelöst durch kalorische Restriktion waren mir ein Begriff. Ich beschloss, nicht mehr nur darüber zu schreiben. Sondern es selbst auszuprobieren. Wann, wenn nicht jetzt? Als ich das Fastenhaus Dunst aufbrach, ließ ich bewusst Handy und Laptop zurück. Ich wollte mich komplett zurückziehen, mich auf das Wesentliche konzentrieren. Auf meine Gesundheit. Und, so hoffte ich, auf einen Reboot nach dem Shutdown.
Spott und Unverständnis in meinem Umfeld trotzend („Du zahlt so viel und kriegst noch nicht mal was zum Essen dort?!“) habe ich mich auf diese Reise mit ungewissem Ausgang eingelassen. Wie sehr diese Woche mich verändert hat, kann ich erst heute abschätzen. Damals war ich eine im Überfluss Ertrinkende, der gleichzeitig ein rettender Anker gefehlt hat. Ich wusste wenig über gesunde Ernährung, war in einer gutbürgerlichen Hausmannskost-Familie aufgewachsen. Über das Fasten wusste ich noch weniger.
Vor allem hätte ich nie erwartet, wie viel Kraft und Weitblick der Verzicht mir geben würde. Viel Mehr das Weniger sein kann. Wie sehr genug die eigenen Gedanken sein können. Diesen Aspekt hatte ich in der naturwissenschaftlichen Erforschung des Fastens bis dato nicht entdeckt. Umso wichtiger wurde für mich diese Erkenntnis: Fasten bedeutet nicht nur Weglassen, sondern vor allem Räume zu öffnen.
Während einige meine Fasten-KollegInnen das eine oder andere „Down“ in dieser Zeit durchmachten, erlebte ich die Fastenwoche als erdendes Durchatmen, als erleichternde Reinigung, als die richtige Antwort auf meinen Hilferuf. Ich konnte vieles loslassen, an das ich mich vorher geklammert hatte. Mir wurde bewusst, dass ich meinen Körper nur geborgt habe und gut auf ihn aufpassen muss. Als ich nachhause zurückkam, meinte meine Mutter, nahezu ungläubig: „Deine Augen strahlen ja richtig!“
In den vergangenen zehn Jahren habe ich nur noch einmal begleitend, wieder bei der Familie Dunst, gefastet. Im Alltag lege ich ab und zu Saftkuren oder einen Suppentag ein. Das hilft mir sehr, Balance zu halten. Ich merke, dass ich ausgeglichener und stabiler bin. Herausforderungen in der Arbeit begegne ich jetzt anders – gelassener, mit mehr Leichtigkeit. Seit sechs Jahren führe ich eine von Sanftmut, Respekt und wechselseitigem Entgegenkommen geprägte Beziehung.
Meinem Mann würde ich gerne einmal das begleitende Fasten abseits der eigenen vier Wände zeigen. Eine schwere Erkrankung hat ihn kürzlich selbst den Wert des (gesunden) Lebens erkennen lassen. Nun, wo es ihm wieder besser geht, sind wir beide bereit dafür. Und gutes, echtes, natürliches Essen hilft uns dabei – genau so, wie es ab und zu einzuschränken. Um Freiraum zu schaffen für alle Fragen, die das schnelle „Snacken“ sonst zugedeckt und alle Gefühle, die die „Trost-Schoko“ früher verschleiert hat.
Weniger Abhängigkeit, auch von Nahrung, bringt uns näher zu unserem Wesenskern. Das empfinde ich als Wesentlichstes am Fasten und auch als das Wesentlichste im Leben: zu verstehen, wer wir sind. Und wer wir noch werden möchten.
Ein Reisebericht einer Fastenden im Fastenhaus Dunst - 07/2022